Als Superzehnkämpfer Beckenbauer stürzte
Sportpressefeste und das journalistische Selbstverständnis
„Wenn der Schorsch Meier seine 750er hat aufheulen lassen, waren die Leute begeistert.“ Ludwig Koppenwallner, der 2. Vorsitzende und Geschäftsführer des Vereins Münchner Sport-journalisten und Sportchef der Süddeutschen Zeitung, erzählte auch noch ein halbes Jahr-hundert später begeistert vom Münchner Sportpressefest am 25. März 1950, bei dem der legendäre Motorradrennfahrer über das Holzoval der Winterbahn auf der Theresien-höhe gebrettert war, auf dem sonst die Sechstagefahrer rundum radelten.
Verpflichtet hatte ihn der Organisator Koppenwallner, dem nach der Gründung des VMS gerade mal zwei Monate Zeit zur Vorbreitung geblieben waren. Außer-
dem engagierte er jede Menge Prominenz aus Sport, Politik und vom Film. „Die Bereitschaft zum Mitmachen war einmalig“, erinnerte sich der 2010 verstorbene Koppenwaller. „Ein Anruf bei Gottfried von Cramm, un der hat sofort zugesagt.“ Der Wimbeldon-Finalist von 1935-1937 spielte gegen den Lokalmatador Beppo Pöttinger. Fußballspieler von 1860 und dem FC Bayern maßen ihre Kräfte im Tauziehen.
Die Teilnehmer am Elfmeterschießen: Der Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer, Bob-Olympiasieger Lorenz Nieberl, Siegfried Sommer, schon damals bekannt als Blasius, der Spaziergänger, Kolumnist der Abendzeitung, Diskus-Olympiasiegerin Gisela Mauermayer, der Leichtathlet Karl Friedrich Haas, drei Jahre später Olympiavierter über 400 m, Adalbert Wetzel, Präsident von 1860, und Herbert Klein, der im selben Jahr Europameister über 200 m Brust wurde. Beim Tauziehen kämpften die Oberlig-Mannschaften des FC Bayern und 1860 "um einen Sektkorb der Fachzeitschrift Fußball mit 12 Flaschen Henkell Cuvö 07", wie die SZ berichtete. Auch die Sportjournalisten stellten ihre Fitness bei einer Rundenstaffel der Münchner Zeitungsredaktionen unter Beweis. Beim Staffelrennen der Zeitungsredaktionen führt die Mannschaft des Münchner Merkur. Eugen Vorwitt übergibt den Stab an Harry Valérien (Foto).
Spenden für Blinde und
Waisen
Die Veranstaltung war auch finanziell ein Erfolg. Der Vereinskassier Robert E. Lemke freute sich über 16.482 D-Mark Einnahme, als Reingewinn wurden 8.420 D-Mark errechnet. Das war ein hübsches
Sümmchen, gemessen daran, dass 1950 der monatliche Durchschnittsverdienst des deutschen Nachkriegs-bürgers 150 Mark betrug. Der Münchner Stadtkämmerer Erwin Hielscher hatte dem VSM Steuerbefreiung
zugesagt unter der Bedingung, dass mindestens 25 Prozent der Bruttoeinnahmen für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt würden. Das städtische Blindenheim und das Waisenhaus erhielten jeweils
2.806.65 D-Mark, das restliche Drittel floß in die Unterstützungskasse des VMS.
1954 fand das vorerst letzte Sechstagerennen in München statt. Die Zuschauer blieben aus, die Winterbahn GmbH ging pleite. Pech für den VMS und sein Pressesportfest. Aber auch Glück, denn drei Jahre zuvor war beschlossen worden, die Winterbahn zu übernehmen, doch eine Außerordentliche Mitgliederversammlung hatte nicht zugestimmt. Sechstagerennen gab es in München erst wieder 1949-1954 in der Messehalle 6 auf der Theresienhöhe und von 1972-2009 in der Olympiahalle.
Blumenkorso auf dem Weg zum
Dantestadion
Der Verein Münchner Sportpresse, 1927 gegründet und 1934 von den Nazis aufgelöst, hatte schon 1931 und 1933 im Dantestadion Sportpressefeste veran-staltet. Im VMS-Archiv fand sich der Bericht eines
namentlich nicht genannten Chronisten: "..konnte auf dezente Weise doch auch der Faktor Sportpresse ab und zu einmal in Erscheinung treten. Das erste Fest der Sportpresse am 6. Juni 1931 erhielt mit
einem Blumenkorso der Damen des Münchner Automobilklubs durch die belebtsten Straßen der Stadt einen geradezu einzigartigen Auftakt, zumals Prämierungen der am schönsten geschmückten Fahrzeuge zu
beson-deren Anstrengungen in der Ausschschmückung Anreiz boten. Was auf Aschenbahn und Rasenfläche vor einer überraschten Zuschauermenge mit Vertretern von Staat und Stadt an der Spitze abrollte,
fand nicht geringen Beifall. Freiübungen von 300 Turnerinnen wechselten mit Saltos der Spitzen-turner über den Sprungtisch, mit Vorführungen der Radsportamateure und solchen der starken Männer, mit
Fußball und Aschenbahnrennen. Ja, sogar die Flieger wollten bei dieser bunten Revue des Sports nicht fehlen, und so war der Fliegerklub München zu einem Geschwaderflug
aufgestiegen."
Zwei Journalisten - eine Idee
In den Siebziger Jahren wurden in der Dortmunder Westfalenhalle Sportpresse- feste veranstaltet.
Der 2015 verstorbene Uli Kaiser erinnerte sich an eine Unterhaltung mit seinem Kollegen Peter Bizer. Der habe zu ihm gesagt: "Wir müssten auch mal so was machen, aber ganz anders." So erfanden die
beiden VMS-Mitglieder 1973 den Super-Zehnkampf.
Uli Kaiser (Foto) wusste noch, "dass wir beim ersten Mal unglaublich mit dem Geld danebenlagen". Dem Veran-stalter-Duo blieben gerade mit 5.000 D-Mark als Lohn der Mühen. Beim zweiten Versuch garantierte Werner Göhner, Chef der Münchner Olympiagesellschaft und VMS-Grün-dungsmitglied, ein Fixum von 20.000 D-Mark und dem VMS ebensoviel als eine Art Lizenzgebühr. .Bizer: "Wohlwollend wurde jedoch zur Kenntnis genommen", dass der Reinerlös in die Sozialkasse des VMS fließen würde, zugunsten im Alter bedürftiger Kollegen.
Peter Bizer (Foto) erinnerte sich 2025: "Für die Organi-sation des „Super Zehnkampf“ gewann ich meinen Freund, den unvergessenen Ulrich Kaiser, als Mitstreiter. Das Management und die Mitarbeiter der Olympiahalle unter Führung von Werner Göhner und Karl Eisgruber waren mit Feuer und Flamme dabei, während aus einem überschau-baren Kreis der VMS-Mitglieder auch Bedenken laut wurden. „Journalisten veranstalten nicht. Heute ist Content Journalismus längst nicht mehr verwerflich, aber damals wurde in feinen Redaktionsstuben eben die reine Lehre noch hochgehalten."
Auch VMS-Geschäftsführer Hans Eiberle sah Interessenskonflikte voraus und legte sein Amt als VMS-Geschäftsführer nieder. Nachfolger war sein SZ-Kollege, der prompt mit dem VMS-Vorsitzenden Helmut Stegmann, Chefredakteur des Boulevardblatts tz, über Kreuz geriet in der Frage, ob in Berichterstattung Kritik an der Veranstaltung erlaubt sei.
Das Thema war nicht neu. Protokoll der Vorstandssitzung vom 1. März 1950, Aufforderung von Ludwig Koppenwallner: "Ungefähr ab 14. März sollen die führenden Tageszeitungen jeden Tag einen anderen netten und interessanten Artikel über die einzelnen im Programm vorkommenden Sportarten oder mitwirkenden Sportler bringen."
Startschuss von NOK-Präsident Willi Daume zum Go-Cart-Rennen beim Superzehnkampf 1973 in der Olympiahalle. Neben ihm Sepp Blatter, der spätere FIFA-Präsident, als Repräsentant des Schweizer Uhrenherstellers Longines, rechts Co-Veranstalter Peter Bizer. Vor ihm: Automobillrennfahrer Hans-Joachim Stück. FOTO: MARIA MÜHLBERGER
30 russische Sportler für 20.000 D-Mark
"Die Olympia Halle war erstmals nach den Olympischen Spielen ausverkauft", darauf ist Peter
Bizer auch heute noch stolz. "Die Premiere des Super Zehnkampf gewann Klaus Wolfermann knapp vor Franz Beckenbauer. Der Unvergleichliche verblüffte vor allem beim Gewichtheben, Hochsprung und auf dem
Rennrad als sportliches Naturtalent. Übrigens: Klaus Wolfermann wurde nach Mitternacht auf der Heimfahrt von der Polizei gestoppt. Wegen der Ölkrise herrschte an diesem Dezember-Sonntag ein
Fahrverbot auf allen Straßen. Die Strafanzeige wurde nach diversen Interventionen zurückgezogen…
Dann ging Peter Bizer als Korrespondent für den Stern nach Moskau und Kaiser war alleiniger Veranstalter. An Einfallsreichtum mangelte es ihm nicht: "Einmal ließen wir ein riesiges Wasserbecken
aufstellen, darin fanden fast alle Wettbewerbe statt." In einem anderen Jahr gab es eine Eisfläche. Kaier: "Ich bin nach Bad Godesberg in die Botschaft der UdSSR gefahren und habe für 20.000 Mark 30
Sportler verpflichtet", darunter die Torhüterlegende Lew Jaschin und das Eiskunstlaufpaar Protopopow", zweimalige Olympiasieger und viermalige Weltmeister. "Die wollten das Geld in bar, da musste ich
noch schnell zur Bank."
Wenn die Sportler sich auf ungewohntem Terrain bewegten, gerieten sie manchmal in Gefahr. Franz Beckenbauer stürzte mit dem Rennrad, weil der Zugang zum Innenraum versehentlich nicht geschlossen war und der Fußballer samt Radl durch die Luft flog. Der Bruchpilot rettete sich akrobatisch, seinen Manager Robert Schwan traf fast der Schlag. Der Hochspung-Hallenwelt-rekordler (2,42 m) Carlo Thränhardt dem Präsidenten des Bayerischen Landessportsverbands, Willy Fritz, so wuchtig gegen den Kopf, dass einSchleudertrauma die Folge war.
Franz Beckenbauer, das Aststück und die Ölheizung
Beim Sportpressefest 1973 stellte der Gewichtheber Rudolf Mang, genannt Bär von Bellenberg,
einen Weltrekord im Reissen auf (183,0 kg). Den Superzehn-kampf gewann der jüngst verstorbene Olympiasieger Klaus Wolfermann, der im Finale mit der Handsäge schneller war als Franz Beckenbauer, weil
diesem ein Aststück in die Quere kam. Kommentar des SZ-Glossenschreibers Xaver Salvermoser alias hans Schiefele: "Des kommt davon, wenn man dahoam bloß a Ölheizung hot."
Den vom SZ-Karikaturisten Olaf Klama
entworfenen Wanderpreis, eine 1,30 Meter hohe Bronzefigur Der letzte Amateur (Salvermoser: Das bronzene Ettaler Mandl) ließ Wolfermann in seinem Garten einmauern, sodass im Jahr
darauf Ersatz geordert werden musste.
Achtmal war das Sportpressefest ausverkauft, beim neunten Mal kamen 1981 nur noch 8.000 Zuschauer. Veranstalter Uli Kaiser sagte als Konsequenz: "Noch einmal, dann ist Schluss. Diese Art
Veranstaltung war ein bisschen aus der Mode
gekommen."
H.E.